Hallo Silberfisch,
da hast Du ja eigentlich 2 Fragen in eine gepackt:
1) Wenn man sich den Herstellungsprozess ansieht, ist in den meisten Homöopathika doch gar nichts mehr drin. Kann da noch etwas spezifisch wirken? Was spricht dafür/dagegen?
2) Warum glauben so viele an Homöopathische Medikamente?
Weil das zwei verschiedene Fragen sind, beantworte ich sie der Reihe nach, ok?
1) Wenn man sich den Herstellungsprozess ansieht, ist in den meisten Homöopathika doch gar nichts mehr drin. Kann da noch etwas spezifisch wirken? Was spricht dafür/dagegen?
Nicht spezifisch (also abhängig vom (nicht mehr enthaltenen) Wirkstoff) und nicht über Placebo hinaus. Placeboeffekte - treten bei einer Behandlung natürlich auf.
Gegen eine spezifische Wirksamkeit sprechen mehrere Argumente, die sich ergänzen und ineinander greifen:
- Homöopathische Hochpotenzen würden einen Mechanismus benötigen, bei dem Wirkstoffe in Abwesenheit gezielte Wirksamkeit besitzen müssten. Dafür müsste es verschiedene Formen der Abwesenheit ein und desselben Stoffes geben (denn eine C30 soll ja anders wirken als eine C200 desselben Ausgangsstoffes). Es müsste eine Rolle spielen, welcher Stoff nicht da ist (denn eine nicht enthaltene zerstampfte Honigbiene soll anders wirken als eine nicht enthaltene Küchenzwiebel). Dabei soll der Körper die Abwesenheit eines Stoffes auch dann bemerken, wenn er den Stoff dauernd zu sich nimmt (wie etwa nicht enthaltenes Kochsalz), aber auch nur, wenn er ein Zuckerkügelchen schluckt, das den Ausgangsstoff eben nicht mehr enthält. (Denn was immer da wirken soll, müsste ja unabhängig vom Ausgangsstoff werden, aber __nicht__ unabhängig vom eingenommenen Zucker.) All diese Voraussetzungen widersprechen umfangreich dem, was die Naturwissenschaften - vor allem die Physik - seit der Erfindung der Homöopathie über die Welt entdeckt hat und erfolgreich anwendet. Unsere gesamte Atomphysik, unsere gesamte Quantenmechanik (die in jedem einzelnen elektronischen Gerät zum Einsatz kommt) müsste grob falsch oder unvollständig sein, ohne dass wir bei ihrer Anwendung auch nur das Geringste davon bemerken würden.
- In Übereinstimmung mit dieser naturwissenschaftlichen Unplausibilität konnte trotz hunderter Studien zur Homöopathie in der Gesamtsicht kein Unterschied zu Placebo belegt werden. Um das deutlich zu sagen: In klinischen Studien hätte eine Überlegenheit der Homöopathika gegen Placebo sich auch dann gezeigt, wenn der Wirkmechanismus komplett unklar ist. Die Homöopathie hatte also quasi eine zweite Chance nach dem naturwissenschaftlichen Scheitern, in Studien doch noch zu belegen, dass sie mehr ist als Placebos. Trotzdem ergeben verschiedene Auswertemethoden der Gesamtstudienlage (Systematische Reviews und p-Kurven-Analysen) übereinstimmend: Homöopathika unterscheiden sich nicht von Placebos.
- In Übereinstimmung mit diesen beiden Befunden zerfällt die Homöopathie in einander widersprechende Strömungen. Das ist ganz typisch für Placeboverfahren: Bei der Anwendung eines echten Naturphänomens müssten die Erfahrungen konvergieren, nicht auseinanderlaufen.
Für eine Wirksamkeit spricht nichts, was einer wissenschaftlichen Überprüfung stand hielte. Zwar werden von Verbänden und Anwendern einige Punkte vorgebracht, doch handelt es sich dabei ausschließlich um Fehlschlüsse.
Womit wir bei Punkt 2 wären.
2) Warum glauben so viele an Homöopathische Medikamente?
Homöopathika werden intensiv beworben.
Und zwar leider sehr oft unter der Behauptung einer Wirksamkeit über Placebo hinaus.
Verbände stellen Politik und Patient gegenüber leider sehr oft die wissenschaftliche Erkenntnislage zur Homöopathie falsch dar. Traurige Beispiele sind der sogenannte Forschungsreader des DZVhÄ oder die Verschwörungstheorien, die HRI oder Carstens-Stiftung zur großen Untersuchung des NHMRC verbreiten.
Daneben benutzt die Homöopathiewerbung oft gezielt positiv besetzte Begriffe wie "sanft" oder "natürlich", oft in Kombination mit Bildern von Pflanzen. Bis zu 40% der Anwender, so haben Umfragen ergeben, sagen "Homöopathie" und meinen "Naturheilkunde" - zu der die Homöopathie gar nicht zählt. Die Homöopathie kann aber dem Patienten gegenüber über die Verwischung dieses Unterschieds in der Kundenwahrnehmung ihre Unplausibilität in den Hintergrund drängen. Viele meinen, sie würden mit der Homöopathie "halt was Pflanzliches" einnehmen.
Zu dieser Desinformation des Patienten trägt auch bei, dass Ärzte und Apotheken Homöopathika anbieten und die Kassen die Kosten für homöopathische Behandlung und Mittel auch übernehmen. Der Fehlschluss ist "wenn die das anbieten, müsse doch was dran sein". Die wenigsten wissen, dass die Apothekenpflicht und die Kassenübernahme nur durch gesetzliche Sonderregelungen ermöglicht wird, die die Mittel gerade dafür vom Wirksamkeitsnachweis befreien.
https://www.youtube.com/watch?v=7tEoehixGvk
Untersuchungen zeigen auch, dass die meisten Ärzte, die die Mittel anbieten, sehr wohl um den Placebocharakter wissen - und sie als solche einsetzen:
Unter den Verschreibenden beabsichtigten nur 50 % eindeutig, spezifische homöopathische Wirkungen herbeizuführen, nur 27 % hielten fest an der homöopathischen Verschreibungslehre fest, und nur 23 % waren der Meinung, dass es wissenschaftliche Beweise für die Wirksamkeit der Homöopathie gibt. Die Homöopathie als ein Mittel zur Herbeiführung von Placebo-Effekten zu sehen, fand die stärkste Zustimmung unter den Verschreibenden und Nichtverschreibenden der Homöopathie (63% bzw. 74%).
Der Hauptfehlschluss ist aber der sogenannte Post-hoc-Irrtum: Weil eben sehr oft prinzipiell vorübergehende Beschwerden homöopathisch behandelt werden - oder die Homöopathika bei ernsteren Beschwerden zusätzlich zu anderen Maßnahmen eingenommen werden - treten unvermeidbar Besserungen ein. Diese erfolgen zeitlich nach der Einnahme der Globuli und werden von den Patienten als Besserung __wegen__ der Globuli empfunden. Viele Anwender haben daher tatsächlich den Eindruck, die Mittel hätten ihnen geholfen.
Hier findest Du diesen häufigen Fehlschluss genauer erklärt:
https://www.swissdentaljournal.org/fileadmin/upload_sso/2_Zahnaerzte/2_SDJ/SMfZ_2003/SMfZ_01_2003/smfz-03-01-praxis_1.pdf
https://link.springer.com/article/10.1007/s00508-020-01637-6
Oder wenn Du es lieber anschauen willst:
https://youtu.be/-n73LHjCh-A
https://youtu.be/LB_X3jXZC8I
Grüße