Kann man die Organspende deontologisch argumentieren?
Hallo Leute,
ich habe mir gerade einen utilitaristischen Beitrag zur Organspende angeguckt und nun interessiert mich, ob man die Organspende auch in der Deontologie betrachten kann.
Mir selber fällt dazu nicht wirklich was ein. Bei der Deontologie geht es ja darum, dass man nur nach derjenigen Maxime handeln soll, von der man will, dass sie ein Gesetz wird.
Sagen wir mal, wir haben ein Kind, das todkrank ist. Stellt man sich dann die Frage, ob man das sowieso sterbende Kind zur Organentnahme freigibt, oder ob man möchte, dass man so gut es geht, für die Gesundheit des Kindes sorgt?
Würde mich über eine Antwort freuen,
lg
5 Antworten
Zunächst möchte ich Allgemeines zur Deontologie sagen:
Bei der Deontologie geht es ja darum, dass man nur nach derjenigen Maxime handeln soll, von der man will, dass sie ein Gesetz wird.
Klingt nach Kants kategorischem Imperativ und, obgleich zu Kants Zeiten das Wort »Deontologie« noch nicht geprägt war, wird Kant in dem Deontologie-Artikel als Deontologe geführt, meines Erachtens zu Recht.
Jemand hat dies in einer Diskussion mit mir einmal als wesentlich präziseres Prinzip bezeichnet als etwa die Goldene Regel, von der er kritisiert hat, dass diese auf Erfahrung beruhe.
Ich denke nicht, dass dies so ist:
- Die Goldene Regel ist nicht einfach buchstäblich auszulegen, sondern es ist zu berücksichtigen, dass Menschen unterschiedlich ticken.
- Hingegen kann aus dem Prinzip, nach einer Maxime handeln zu sollen, von der ich will, dass sie ein Gesetz wird, sehr Vieles und auch sehr Gegensätzliches abgeleitet werden.
Natürlich handle ich selbst nach einer solchen Maxime, wenn ich beispielsweise in einem Naherholungsgebiet nicht nur meinen Müll nicht achtlos in die Landschaft werfe, obwohl ich dies risikolos tun könnte: Die Landschaft ist kein Mülleimer.
Gelegentlich nehme ich auch etwas mit, wenn ich die Möglichkeiten dazu habe. Die Maxime, der ich dabei folge, ist die: Das sollte jeder so machen, und dann wäre die Landschaft sauber.
Im Allgemeinen bin ich der »reinen Lehre« der Deontologie gegenüber jedoch sehr kritisch eingestellt und halte insbesondere den moralischen Absolutismus für »metamoralisch« verwerflich und sogar im Widerspruch mit der Würde des Menschen stehend, selbst wenn sie gerade diese Würde als besonderen Wert betont.
Er ordnet nämlich den Menschen in seinem Sein und auch seiner Verletzlichkeit einem Abstraktum unter und überrollt ihn mit einem Panzer - besonders, wenn man etwa die Pflicht zur Wahrhaftigkeit auf Situationen wie die anwendet, dass man von einer Soldateska nach Frauen gefragt wird, wissend, dass sich welche im Hause genau vor dieser versteckt halten. Abgesehen davon, dass ich das nicht für Wahrhaftigkeit halte, sondern bloß für Verrat.
Zurück aber zur Organspende:
Diese deontologisch zu begründen, hieße ja eigentlich, dass man quasi das Spenden intakter Organe zur Pflicht machte, und dies würde die persönliche Freiheit des Menschen sehr stark einschränken und verstieße somit gegen die menschliche Würde.
Allenfalls kann man sich eine Maxime vorstellen, nach der man etwas, das man selbst nicht mehr benötigt, nicht einfach wegschmeißen, sondern sie Bedürftigen geben sollte, wobei dies aber auch freiwillig bleiben muss. Diese Maxime wende ich (unter Anderem) mit meinem Organspenderausweis auf meine Organe an: Statt lediglich Tieren, Bakterien und Pilzen zur Ernährung zu dienen, sollen sie das Leben eines anderen Menschen verlängern.
Sagen wir mal, wir haben ein Kind, das todkrank ist. Stellt man sich dann die Frage, ob man das sowieso sterbende Kind zur Organentnahme freigibt, oder ob man möchte, dass man so gut es geht, für die Gesundheit des Kindes sorgt?
Du meinst, für dessen möglichstes Wohlergehen, denn die Voraussetzung ist ja, dass die Gesundheit nicht herstellbar ist. Die Pflicht, dies zu tun, steht in einer Gesellschaft, in der ich leben will, völlig außer Frage, und Organentnahme steht nicht zur Debatte, solange man sich nicht nach menschlichem Ermessen sicher sein kann, dass das Kind als Person aufgehört hat zu existieren bzw., wenn man glaubt, dass die Seele weiterexistiert, gleichsam aus dem Körper ausgezogen ist und die Organe selbst nicht mehr braucht.
Jede Alternative dazu würde einer Maxime folgen, die das Individuum einem ominösen »Volkskörper« oder dergleichen unterordnet, einer kollektivistischen Ideologie also, die Individuen, bildlich gesprochen, lebendig auffrisst.
Hallo,- ich denke, dass dein Problem nur deshalb entsteht weil der deontologische Ansatz in der Ethik immer wieder auf eine "Ja-Nein" - Entscheidung" festgelegt werden soll. Dies ergibt sich aus dem Begriff selbst aber noch nicht einmal obwohl bekanntlich diese Begriffsverengung ausgerechnet vom Hardcor-Protagonisten des Utilitarismus, J. Bentham stammt.
Aussagen deontischer Ethik liegen zu allererst epistemologische / erkenntnistheoretische Sachverhalte zugrunde.
Das bedeutet z. B. ganz konkret, dass dem Mensch aufgrund der Erkenntnis über die Unvollständigkeit seines Wissens die Möglichkeit entzogen ist, aktiv (als positives Recht) Wertvorzugsurteile und -ordnungen als "Das Richtige" oder "Das Bessere" zu formulieren und darauf basierende (insbesondere eindeutig irreversible) Entscheidungen zu treffen (z.B. Todesstrafe, Folter, Sklaventum, Gewaltherrschaft, Erniedrigung, Euthanasie, pränatale Selektion, Ausgrenzung von Behinderten usw. usw).
Die eigentliche Logik einer deontischen oder Pflicht-Ethik ist also die der Handlungsbegründung im Nicht-Wissen. Das und nur das ist die Grundlage deontischer Ethik. ( Alle anderen Pflichtbegriffe, über die man in der Geschichte so stolpert sind politisch-ideologisch-psychologisch motivierte und installierte Absurditäten). Der Kern deontischer Ethik ist also nichts anderes als die "Verpflichtung" auf die Logik bei der Formulierung normativen Rechts.
Deontische Ethik bedeutet somit auch nicht zwingend Widerspruchsfreiheit weil es für jede Frage immer nur ein eindeutiges "Ja" gäbe. Das verspricht die deontische Logik dieses Ethikverständnis auch gar nicht. Ebenso wenig verspricht sie, dass sie immer die einfachste Lösungssituation für unsere Entscheidungsprobleme aufzeigt. Aber sie zeigt uns, das wir i. d. R. das eine tun können ohne das andere zu lassen und so scheinbare Widersprüche auch auflösen können.
Was bedeutet das für deine Frage:
1) Es ist uns nicht möglich (wenn wir rational handeln wollen), über das Ende eines Lebens zu entscheiden (s.o).
2) Es ist uns nicht möglich (wenn wir rational handeln wollen), eine Leben bewußt leiden zu lassen.
Was wäre also die Antwort wenn Leben Leiden bedeutet?
Ganz einfach: wir wären ver-pflichtet alles zu tun, dass Leid zu vermindern -- nicht aber das Leben. Rede mit Menschen, die in (Kinder-) Hospizen arbeiten.
Aber gleiches gilt auch für die vielen Verwahranstallten, die sich "Seniorenheim" nennen.
Du wirst viele Beispiele finden, die auch auf deine Frage passen. Und dann stell dir vor du wärst selbst in einem utilitaristisch ausgerichteten System und selbst betroffen. Dann bekommst du sogar eine intuitive Vorstufe zur Erkenntnis was "Das Richtige" ist.
Utilitarismus ist die "Philosophie des Kaufmanns" und kennt nur Nützlichkeit als Wert aber kein Mit-Leid und schon gar keine Vorstellung von Gleichberechtigung durch das Gebot der Selbstbeschränkung.
Dem Utilitarismus wäre es völlig unmöglich, soetwas wie die Menschenrechte überhaupt zu denken.
Gruß
PS: und da habe ich in meinem "Exkurs" doch glatt die Schlußantwort vergessen: ... - Und weil wir zunehmend in einem utilitaristischen System leben wäre ich gegen Organspenden - sowohl als Geber als auch als Empfänger da ich mit hoher Wahrscheinlichkeit vermuten darf, dass "das System" einer eigenen Nutzenlogik folgt welche auch Auswirkung auf systemkonforme Sprach-, Beurteilungs- oder Beschaffungsregelungen hat ("Hirntod"?!und wenn "Ja" angekreuzt dann wirklich so ganz?! oder die Niere für 50,- € einem Inder "abgekauft"?!). - Deontisch wäre hierzu zu Intensivierung der Stammzellforschung, um Fremdorgane überflüssig zu machen.
Ob ich mich bei meinem eigenen Kind für "Unrecht" zugunsten meines Kindes entscheiden würe? - Ich weiß es nicht und möchte gar nicht daran denken. Aber wahrscheinlich ja. - Aber das ändert am ganzen Sachverhalt rein gar nix.
Ein sterbendes Kind ist ja (noch) nicht tot, sondern es lebt. Würde man es zur sogenannten "Organspende" freigeben, würde es lebendig ausgeschlachtet werden - und das wird ja oftmals zudem auch noch ohne Narkose und ohne Schmerzmittel gemacht. Siehe dazu die Ausführungen von Professor Linus Geisler:
Hirntod
http://www.initiative-kao.de/handzettel-zu-organspende-hirntod.pdf
Deine Worte
... oder ob man möchte, dass man so gut es geht, für die Gesundheit des Kindes sorgt"
zeigen ja, dass es sich um einen lebendigen Menschen handelt. Hierbei auch nur ansatzweise daran zu denken, es zum Ausschlachten freizugeben, ist barbarisch, und man würde damit Mord befürworten.
Eine ähnliche Frage stellte hier BossMoss, lies hier meine Antwort:
Und in meiner Antwort hier
findest Du einige sehr aussagekräftige Videos, auch das von Prof. Coimbra, das ich in meiner Antwort an BossMoss eingebracht habe, und von dem Du in meiner Antwort an BossMoss ein von mir erstelltes Transkript findest.
Auch verweise ich dort auf den Vortrag von Roberto Rotondo, der in einem Film von ihm seinerzeit betreute "Hirntote" (= Organlager) betreute.
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Ich gehe mal davon aus, dass mit diesen Infos Deine Frage beantwortet wird.
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Ich fürchte, da denke ich schlicht. Ist der Tod beschlossene Sache: solange leben lassen (sofern es ein qualvolles ist), dann einschlafen lassen und weiterverwerten.
Dieses Wort war tatsache mit bedacht gewählt. Denn ist das Ende gewiss sollte man es, meiner Meinung nach, so betrachten.
Sitze ich vor meiner verendenden Mutter würde ich auch sagen "fasst die nicht an oder ich dreh euch den Hals um!!"
Aber wenn das Ende gewiss ist und mit den Organen geholfen werdne kann. Dann ist es so uns muss auch schnell geschehen.
Leider denke ich noch schlichter, ich verstehe nämlich nicht, was Du meinst: »solange leben lassen (sofern es ein qualvolles ist)« klingt für mich erst mal so, als solle man jemanden, der auf jeden Fall sterben wird, genug dann weiterleben lassen, wenn er sehr leidet. Aus der Maxime könnte man allenfalls im real existierenden Sadismus ein Gesetz machen.
Oh Je Oh Je Oh Je-....
nein, so habe ich das nicht gemein.Alter... ne, das ist selbst für mich zu gemein... Da hab ich zwei kommentare durcheinandergebracht... "solange leben lassen wie es angenehm ist" war hier angedacht... nochmal ganz großes sorry...
Naja, das kommt darauf an nach WELCHEN Gesetzen man sich richtet. Ist man ein Fürsprecher der Gesundheit, würde man Pro stimmen, als erzkonservativer Christ könnte man an die Unversehrtheit des Leibes appellieren.
Jedenfalls ist Dein Ansatz utilitaristisch. Ich würde freilich etwas am Wording feilen: Das Wort »weiterverwerten« wird der Tatsache, dass hier ein Mensch stirbt und nicht ein Auto kaputt geht, nicht gerecht.