Ärzte / Medizinstudenten, wie sieht eure Work-Life-Balance aus?

Ich habe Kompromisse eingehen müssen, bin aber dennoch zufrieden 67%
Ich bin zufrieden mit meiner Work-Life-Balance 33%
Ich bin unzufrieden mit meiner Work-Life-Balance 0%

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Ich habe Kompromisse eingehen müssen, bin aber dennoch zufrieden

Es ist durchaus so, dass im Arztberuf einiges an Arbeit anfällt. Allein schon durch die Teilnahme an den Bereitschaftsdiensten, die ja auch an Feiertagen oder Wochenenden sind, verschiebt sich das normale Leben erheblich. Ich will mal auf deine Fragen eingehen:

  1. Ja, es ist abhängig von der Klinik und insbesondere der Fachrichtung. Beispielsweise ist es so, dass Abteilungen mit viel Patientenkontakt auf Stationen, z.b. Innere Medizin oder Chirurgie, sehr oft Überstunden machen dadurch, dass sie noch viel Dokumentation zu erledigen haben. Andere Abteilungen z.b. die Anästhesie, haben relativ wenig Dokumentationsaufwand, wieder andere wie beispielsweise in der Pathologie haben keinen Patientenkontakt und damit auch meistens pünktlich Feierabend. Es muss ja nichts noch dringend erledigt werden, reicht auch am nächsten Tag. In solchen Abteilungen fallen deutlich weniger Überstunden an als in Abteilungen mit direkter Patientenversorgung auf Station. Und zudem ist es so, dass in sehr großen Kliniken, z.b. an Universitätskliniken, die Arbeitsdichte sehr hoch ist. Man macht viel Überstunden und der Tag ist recht voll, dafür hat man in der Regel große personelle Ressourcen, sodass man nicht sonderlich viele Bereitschaftsdienste machen muss. Bei mir waren es an der Uni etwa 4 im Monat. An kleineren Kliniken mit dünnerer Personaldecke geht man zwar in der Regel pünktlicher nach Hause, der Arbeitstag ist insgesamt auch etwas entspannter, dafür macht man wesentlich mehr Bereitschaftsdienste. Aktuell arbeite ich an einer relativ kleinen Klinik und bin sieben bis acht Mal im Monat nachts dort.
  2. Diesen Punkt habe ich bereits teilweise schon beantwortet: ich habe bei mir eine relativ hohe Dichte an Bereitschaftsdiensten, gehe an normalen Arbeitstagen aber in der Regel pünktlich nach Hause und sammle recht wenig Überstunden an. Ich habe das Glück in der Anästhesie arbeiten zu dürfen. Die Chirurgen, Internisten und Neurologen bei uns im Haus sind in der Regel bis weit nach Feierabend auf Station und arbeiten.
  3. Das Studium ist mit der Arbeit als Arzt nicht zu vergleichen. Man besucht ja ganz normale Lehrveranstaltungen und ist nur im klinischen Studienabschnitt auch mal am Patienten, aber das natürlich ohne Teilnahme an Nachtdiensten oder ähnliches. Erst im Praktischen Jahr, also dem allerletzten Jahr des Studiums, arbeitet man ja auch richtig im Krankenhaus mit. Selbst da ist man aber als Student in einer besonderen Situation und sammelt in der Regel weder Überstunden an noch macht man nach Dienste. Höchstens mal ausnahmsweise zum schnuppern.
  4. Laut Tarifvertrag arbeite ich in der Woche 40 Stunden. Überstunden mache ich kaum, vielleicht zwei in der Woche. Durch Nachtdienste und Bereitschaftsdienste liegt meine durchschnittliche Arbeitszeit pro Woche bei 58 Stunden und damit sehr knapp vor dem Maximum, was nach Arbeitszeitgesetz überhaupt möglich ist. Knapp zwei Nächte jede Woche verbringe ich in der Klinik.
  5. Die Frage mit dem Vermögen zur Selbstorganisation verstehe ich nicht so ganz. Natürlich kann man sagen, dass jemand, der sich gut organisieren kann die Arbeit in kürzerer Zeit schafft. Da die Arbeit in einer Klinik allerdings nie aufhört, schließlich sind ja immer Patienten da, wird man nach dem Beendigung der einen Aufgabe sofort mit einer neuen betraut. Es ist eigentlich immer was zu tun. Aber prinzipiell würde ich sagen ja, wer sich gut organisieren kann und die wichtigsten Aufgaben gut ab arbeitet, der kann sicherlich auch pünktlicher in den Feierabend gehen als jemand, der das nicht gut kann. Wichtig ist in dieser Frage allerdings nicht nur die Selbstorganisation, sondern auch das Arbeitsverständnis. Es gibt Menschen, die einfach der Meinung sind, immer helfen zu müssen bei jedem Problem und niemals auf sich selber achten. Klassisches Helfersyndrom eben. Solche Ärzte sind natürlich die, die am längsten im Krankenhaus verweilen.
  6. Die Hobbys, die ich im Studium oder auch davor schon hatte, konnte ich alle weiter treiben. Natürlich muss man sich einschränken. Ich denke, das ist aber bei den meisten Menschen im Berufsleben so, die eventuell auch Familie und Kinder haben. Die Hobbys, die man als Single oder Kinderloser während des Studiums so hat, spielen im späteren Leben sicherlich eine geringere Rolle, ganz egal ob man Arzt ist oder einen Job in der Sparkasse hat. Aufgeben jedenfalls musste ich nichts.

Wenn ich es zusammenfassen sollte würde ich sagen, der Job ist toll. Man muss auch eine gewisse Begeisterung dafür mitbringen, um die Belastungen mit Nachtdiensten und hoher Stundenzahl in der Woche mitzumachen. Man ist nicht jeden Tag zu Hause, die wichtigen Feiertage verbringt man garantiert in der Klinik und am Geburtstag der Kinder kommt selbstverständlich ein Notfall rein, sodass man zu spät zum Kaffeetrinken kommt. Der Tagesablauf ist schlecht planbar, zumindest wenn man in der klinischen Versorgung arbeitet, Überstunden kommen vor, die Arbeitsdichte ist sehr hoch, Verantwortung und Stresslevel ebenfalls. Man sieht die Familie längst nicht so oft, wie jemand mit einem normalen Job am Schreibtisch, was sicher auch nicht jeder Partner mitmacht. Man sollte also nicht Arzt werden, nur weil man der Meinung ist, dass der Verdienst ganz gut ist ( mein Stundenlohn als Oberarzt liegt übrigens bei etwa 43 € brutto, ein Klempnermeister wird dafür wohl nicht losziehen...), man muss auch schon mit ein bisschen Herzblut bei der Sache sein. Ich mache meinen Job unglaublich gern und freue mich jeden Tag, zur Arbeit gehen zu können. Mit so einer Einstellung ist es natürlich relativ leicht. Wenn man aber nur in der Freizeit lebt und den Job nur wegen des Verdienstes macht, dann sollte man sich gut überlegen, ob man wirklich Arzt werden möchte.